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Penner, Bettler, Schnorrer? – nein: Mensch!


Penner, Schnorrer, Knasti, Junkie, Bettler, Alki – all das sind Wörter für eine bestimmte Personengruppe: Obdachlose. Das Leben auf der Straße ist für die meisten von uns nicht vorstellbar und doch für einige Menschen bittere Realität. Genau mit dieser haben wir, die Klasse Q1b, uns am 17.09. beschäftigt, als der Mitarbeiter der Vorwerker Diakonie, Udo Blankenstein, unsere Schule besuchte. Seit 2006 treffen sich Jugendliche aus Lübeck jeden Montag unter seiner Leitung, um im MoO-Projekt (Menschen ohne Obdach) mitzuarbeiten. Dort bereiten Ehrenamtliche gemeinsam Essen zu, was dann in der Zentralen Beratungsstelle der Vorwerker Diakonie an die Bedürftigen ausgegeben wird. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist die Begegnung der Jugendlichen mit den Obdachlosen und der Austausch ihrer Lebenserfahrungen. Aber auch die Hilfe, die man den Gästen gibt, ist von großer Bedeutung, da ihnen nicht nur ein kostenfreies Essen angeboten wird, sondern auch das Gefühl dazuzugehören, sich zu unterhalten und zu spielen, als Mensch wahrgenommen zu werden.

Welchen Beruf übt diese Person aus ?

Mit dieser Fragestellung beginnt der Vortrag über das MoO-Projekt. Die Bilder zeigen Menschen in unterschiedlicher Kleidung. Unsere Aufgabe ist es zu erraten, welchen Beruf die jeweilige Person ausübt. Unsere Vermutungen sind weitgehend richtig. Im Nachhinein erzählt Herr Blankenstein uns, dass die abgebildeten Menschen in ihrem Beruf nicht mehr tätig sind und nun mit Obdachlosigkeit zu kämpfen haben. Diese Nachricht schockiert viele von uns. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie die Menschen in diese Situation geraten sind. Schicksalsschläge, Alkohol- und Drogensucht, psychische Probleme – all dies sind Ursachen, weshalb Menschen auf der Straße landen. Udo Blankenstein macht uns deutlich, dass sich das Leben von einem Moment auf den anderen um 180 Grad wenden kann.

Durch die Bilder wird uns bewusst, dass nicht alle Menschen, die obdachlos sind, so aussehen, wie wir es uns vorstellen. Viele Obdachlose versuchen, sich „normal“ zu kleiden, obwohl die Möglichkeiten durch ihre Lebensumstände erschwert sind. Die Gründe für ein gepflegtes Auftreten sind hauptsächlich die Scham davor, nicht mehr zur Gesellschaft dazu zu gehören, und sich vor Übergriffen zu schützen. Bei vielen Passanten erregt eine gepflegte Kleidung aber Argwohn: „Der sieht doch gar nicht arm aus! Warum sollte ich ihm Geld geben?“, lautet eine verbreitete Reaktion.

Welche acht Dinge braucht man, um eine Woche auf der Straße zu überleben?

Herr Blankenstein hatte zahlreiche Gegenstände aufgereiht, aus denen wir auswählen sollten. Schnell waren wir uns einig, dass ein Schlafsack Wärme spendet , wenn man im Freien übernachten muss. Ein Zelt schützt vor neugierigen Blicken und Umwelteinflüssen. Das Messer stellt ein Universalwerkzeug dar und Pappe mindert die Kälte, die vom Boden aufsteigt. Aber was fängt man mit einer leeren Plastikflasche und einer Packung Spaghetti an ohne Herd? Wir lernten, dass sich mit einer Wasser gefüllten Flasche Nudeln kochen lassen, wenn man sie in die Glut stellt. Wie sieht es aus mit Pflaster, Dosenöffner, Taschenspiegel und Kerze? Wenn man auf der Straße lebt, trägt man seinen Besitz mit sich herum und muss sich auf das Existenzielle beschränken.

Wie begegnet man Obdachlosen am besten?

Begegnet man einem Obdachlosen auf der Straße, machen die meisten von uns erstmal einen großen Bogen um ihn. Menschen, die auf der Straße leben müssen, fühlen sich dadurch abwertet. Anstatt wegzuschauen, könnte man doch einfach lächeln. Das gibt der obdachlosen Person das Gefühl, gesehen und als Mensch wahrgenommen zu werden.

Im MoO-Projekt haben sich einige Jugendliche dazu bereit erklärt, die „Hempels“ Zeitung, welche von Menschen ohne Obdach erstellt wird, zu verkaufen. Und die Erfahrungen sind schockierend. Einige der Jugendlichen haben bereits nach 15 Minuten den Verkauf abgebrochen, da ihnen der mentale Stress, ignoriert oder schräg angeschaut zu werden, zu sehr zugesetzt hat. Unter welchem sozialen Druck stehen die, die tagtäglich vor dem Bahnhof oder Supermarkt die Zeitung vertreiben? Niemand muss sich gedrängt fühlen, eine Zeitung zu erwerben oder gar eine Spende abzugeben, aber jemanden zu ignorieren, ist verletzend.

„Dem Gegenüber mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen, kostet nichts. Und man selbst wird sich besser fühlen, wenn man den Menschen nicht ausweicht“, rät Herr Blankenstein.

Menschen am Rande der Gesellschaft, damit werden wir uns im Deutschunterricht in den nächsten Wochen beschäftigen, wenn wir das Drama „Woyzeck“ von Georg Büchner lesen. Das Thema hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. So viel ist uns nach der Beschäftigung mit dem MoO-Projekt klar.

Text: Schülerinnen und Schüler der Klasse Q1b

Fotos: Dr. Meike Wulf