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Auf der Opernbaustelle


„Oper? – Nicht meine Musik!“ So oder ähnlich hätten sich die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b wohl auch geäußert, bevor sie die Opernbaustelle der Taschenoper Lübeck besucht haben. In dem dreistündigen Workshop entwickelten die Jugendlichen am 26.2. zu insgesamt vier Musikstücken aus der Oper „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven – zwei Soloarien  und zwei Duetten  – eine eigene Kurzoper.

Nachdem ihnen von den Sängern Margit Dürr ( Sopran) und Tobias Hagge ( Bass) die Stücke vorgetragen worden waren, bestand die Aufgabe darin, die Gefühlslage, die die Musik transportiert, zu beschreiben. „Träumerisch, sehnsuchtsvoll“ auf der einen und „ernst, dramatisch“ auf der anderen Seite waren einige der Attribute, die die Jugendlichen zur Beschreibung der Emotionen, die sie empfunden hatten, fanden.

Dann ging es daran, Ort, Zeit und Personen des Stückes zu bestimmen. Ohne Tabus durften die Schülerinnen und Schüler Ideen äußern, die zunächst von Regisseur Sascha Mink gesammelt und dann abgestimmt wurden. „Ein französisches Schloss“, „eine Piazza mit Brunnen in einer italienischen Stadt“ oder „am Meer“ lauteten einige der Vorschläge. Vielleicht lag es am Schnee, durch den sich die Schülerinnen und Schüler zu Fuß zum Theater durchgekämpft hatten, dass als Handlungsort schließlich eine russische Kneipe während des Zweiten Weltkrieges mehrheitsfähig war.

Als Handlung stand nach der Abstimmung unterschiedlicher Entwürfe schließlich Folgendes fest: Die als Mann verkleidete junge Bedienung am Tresen einer russischen Kneipe arbeitet während des Zweiten Weltkriegs für den Widerstand. Sie verliebt sich in einen Fremden, der ihr Lokal betritt und ihre wahre Identität erkennt. Dass der Fremde ein Soldat ist, erkennt die Protagonistin erst, als eine Gruppe russischer Soldaten, die Widerstandskämpfer aufspüren will, die Kneipe betritt und ihren Kameraden begrüßt. Der junge Gefreite ist zunächst hin- und hergerissen zwischen der Loyalität seinen Kameraden gegenüber und seiner Liebe zu der schönen Bedienung auf der anderen Seite, entscheidet sich dann aber dafür, die Geliebte zu retten, deren Leben durch die Soldaten bedroht ist. Über den Ausgang der Kurzoper wurde unter den Schülerinnen und Schülern heftig diskutiert. Wird den beiden Liebenden die Flucht gelingen?

Nachdem über den Inhalt des Stückes Einigkeit hergestellt worden war, ging es an die Erarbeitung des musikalischen Parts. Dazu wurden die Schülerinnen und Schüler in vier Gruppen eingeteilt, um unter Anleitung der beiden Sänger, Regisseur Sascha Mink und Klavierspielerin Ninon Gloger zu jedem Musikstück ein zur Handlung passendes Libretto zu formulieren, das die Sänger anschließend einstudierten.

Dann begannen die Proben. Dem gewählten Handlungsort sei Dank, fanden sich Rollen für alle Jugendlichen, die sie mit Fantasie und Spielfreude ausfüllten: Es gab die Gruppe der Karten spielenden Alten, die verarmte russische Adlige samt Tochter, die Runde der Wodka trinkenden Widerständler, die die Kneipe für ein konspiratives Treffen nutzen, mehrere Bedienungen und natürlich die Soldaten. Die beiden Liebenden wurden verkörpert von Margit Dürr und Tobias Hagge. Der Gesang der beiden Protagonisten, die mit neuem Text versehenen Arien, bildeten den Kern, um den herum sich die übrige Handlung entwickelte. Zum Abschluss des Workshops wurde die Inszenierung von Techniker Finn Heine gefilmt.

Das Ende der Kurzoper soll hier nicht verraten werden. Es ist auf jeden Fall sehenswert.

Vielleicht gibt es am 24. April beim Finale die Gelegenheit, die Aufführung zu besuchen, wenn die drei besten Inszenierungen des „Fidelio“, die in der Opernbaustelle erarbeitet wurden, der Öffentlichkeit präsentiert werden. Sollte die Version, die die Klasse 9b erarbeitet hat, für die Endausscheidung nominiert werden, wäre das schön. Ein toller Erfolg war der Opernworkshop aber jetzt schon. Denn die Jugendlichen haben sich auf altersgemäße Weise eine Musik zu eigen gemacht, die ihnen zunächst fremd war.

Jetzt werden sie auch Zugang zu der Inszenierung von „Fidelio“ durch die Taschenoper Lübeck finden, zu deren Aufführung sie am 18.4. eingeladen sind. Der Vergleich dieser Interpretation mit ihrer eigenen Umsetzung wird sie zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem musikalischen Werk motivieren.

Die Musik vergangener Jahrhunderte ist eine Sprache, die auch von heutigen Jugendlichen verstanden werden kann. Es kommt darauf an, ihnen einen Weg zu bahnen. Dass das der Taschenoper gelungen ist, zeigen die begeisterten Reaktionen der 9b:

“ Vorher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass mich Opern interessieren. Aber nachdem wir mit Bass Tobias Hagge in der Kleingruppe gearbeitet und er für uns gesungen hat, bin ich wirklich begeistert.“ ( Sümeyye)

“ Am Anfang war ich skeptisch, denn ich war schon ein paarmal in der Oper, habe aber keinen Zugang gefunden. Durch die Arbeit an den Libretti hat sich das geändert.“ ( Lenz)

“ Meine Mutter zwingt mich manchmal in die Oper zu gehen. Jetzt, wo ich selbst mitwirken konnte, freue ich mich, die Aufführung des ´Fidelio`zu sehen.“ ( Iljuscha)

 

Text: Mechthild Piechotta